Curt Heber – ein bewegtes Leben eines deutschen Unternehmers

Graue Eminenz und Schattenseiten eines Unternehmers

Stationen eines Lebens: Heber Berlin, Mechanische Werkstätten Neubrandenburg, Hemaf Osterode und Elmeg Peine

(derharz) Curt Heber war einer der bedeutendsten deutschen Entwickler von Waffensystemen, die er hinter dem Rücken der Alliierten und trotz der Beschränkungen der Versailler Vertrages für die deutsche Luftwaffe entwickelte. Mit der Machtübernahme der Nationalsozialisten konnte er seine zunächst im dunkeln verdeckt betriebenen Arbeiten nunmehr offiziell weiter betreiben und intensivieren: Zunächst in Berlin-Britz, später in Neubrandenburg. Mit seinen innerhalb weniger Monate aus den Boden gestampften Werksanlage für Abwurfwaffen, den Mechanischen Werken Neubrandenburg, war er einer der wichtigsten Lieferanten und Entwicklern der Luftwaffe. Er hielt dutzende an Patente.

Hebers Wissen und Forscherdrang war für die deutsche Luftwaffe und insbesondere bei der Entwicklung von Waffensystemen eigentlich unverzichtbar, doch geriet er 1937 in den Fokus des Regimes. Wegen angeblicher Devisenvergehen befand er sich für mehr als 20 Monate in Haft. Gleichzeitig verlor er seine Werke in Berlin und Neubrandenburg, ebenso einen Großteil seiner Patente. Teilweise rehabilitiert und für den Verlust der Fabriken entschädigt, setzte Heber seine Arbeit in Osterode am Harz fort. Unter dem neuen Namen Hemaf liefen dort ab 1942 wieder Abwurfwaffen für die Luftwaffe vom Band. Neben ausländischen Zwangsarbeitern standen auch KZ-Häftlinge eines eigenen KZ-Außenkommandos an den Werkbänken. Wer war dieser Curt Heber? Der nachfolgende Kurzbeitrag soll versuchen, einen kurzen Überblick zu geben.

Schul- und Ausbildungszeit Hebers

Curt Heber kam am 12.06.1897 als ältester Sohn von insgesamt elf Kindern in Schmölln zur Welt. Von 1902 bis 1910 besuchte er die Bürgerschule und im Anschluss daran die Gewerbe- und Fortbildungsschule. Von 1911 bis 1914 absolvierte Heber eine Maschinenbaulehre bei Sylbe & Pondorf und trat im September 1914 seinen Dienst als Schlosser und Monteur bei den Fokker-Flugzeugwerken in Schwerin an. Dort arbeitete er eng mit Heinrich Lübbe, Fokkers Waffenfachmann, zusammen. Mit ihm gemeinsam entwickelte Heber ein Feuersystem, das es ermöglichte, mit einem MG durch die rotierenden Propeller-Flügel aus einem Flugzeug zu schießen. Das von beiden konstruierte Unterbrechergetriebe verschaffte der deutschen Luftwaffe zeitweise einen, wenn auch nicht kriegsentscheidenden Vorsprung im Luftkampf.

Ende Februar 1917 verließ Heber die Fokker-Werke und trat seinen Militärdienst in der Rekruten-Kompanie der Flieger-Ersatz-Abteilung 1 in Altenburg an. Dies offenbar auf eigenen Wunsch. Nach zwei Monaten Grundausbildung wechselte zu einer Flieger-Ersatz-Abteilung. Zwei Monate später erhielt er bei der Flieger-Abteilung A 277 eine Ausbildung als Flugzeugwart. Im Anschluss daran war er für eine gewisse Zeit als Pilot im Fronteinsatz, wurde aber im April 1918 beurlaubt. Direkt im Anschluss daran setzte er seine Tätigkeit bei den Fokker-Werken in Schwerin fort. Während seiner Militärzeit lernte Heber vermutlich den späteren Generaloberst der Luftwaffe, Ernst Udet, kennen. Eine Bekanntschaft, die Heber später noch von Vorteil sein sollte.

Geheime Rüstungsforschung hinter den Rücken der Alliierten

Von 1922 bis 1925 konnte Heber, inzwischen Betriebsleiter bei Fokker in Amsterdam, seine Rüstungsforschungen im Ausland fortsetzen und damit die Beschränkungen des Versailler Vertrages umgehen. Von der Reichswehr war er in dieser Zeit mit der Konstruktion einer verbesserten MG-Steuerung (MG 301) beauftragt worden. Sie wurde in die Maschinen des Typs Fokker D XIII eingebaut, von denen das Reich unter Verletzung der alliierten Abrüstungsbestimmungen hundert Stück orderte. Die Flugzeuge wurden im russischen Lipezk getestet und unter Mitarbeit von Heber weiter verbessert. Nach einem kurzen Gastspiel bei der Rohrbach Metall-Flugzeugbau GmbH gründete Heber im Sommer 1926 in Berlin ein Ingenieurbüro, das ausschließlich für die Reichswehr arbeitete und vorwiegend mit der Erfindung von Abwurfwaffen befasst war, die andere Firmen dann nach Anweisungen Hebers nachbauten. Hitlers Machtergreifung ermutigte Heber im Juli 1933, die von ihm entwickelten Geräte künftig in eigener Regie herzustellen. Er gründete die Firma Curt Heber – Mechanische Werkstätten Berlin-Britz und ließ sich in den leer stehenden Gebäuden der Firma Premag in der Suderoder Str. 31–32 nieder. Schnell erwies sich, dass der Kleinbetrieb nicht in der Lage war, die ständig mehr werdenden Bestellungen der Luftwaffe zu erfüllen. Die Serienproduktion in großen Stückzahlen musste anderenorts mit modernen Maschinen erfolgen.

Die Mechanischen Werkstätten (MWN) Neubrandenburg

Nachdem die Entwicklungsabteilung des Reichsluftfahrtministeriums die Erweiterung der Werkstätten in Berlin untersagte, erwarb Curt Heber im Januar 1934 die stillgelegte Kartoffelflockenfabrik Chemische Fabrik Mahler und Doktor Supf“ in Neubrandenburg (Mecklenburg) zum Preis von 90.000 RM. Eigentümerin war die Ferdinand Sichel AG aus Hannover. Der Kaufpreis floss in drei gleichen Raten und war im Februar 1935 komplett gezahlt. Die Gründung der neuen Firma erfolgte am 27.08.1936 und zwar unter dem Namen „Curt Heber GmbH – Mechanische Werkstätten, Neubrandenburg (Sitz Berlin)“. Der Eintrag ins Handelsregister vollzog sich am 10.09.1936. Eigner war neben Curt Heber auch die „Luftfahrtkontor“, die Rechtsvorgängerin der „Bank der Deutschen Luftfahrt AG“ (Aerobank), jeweils zu 50 %. Die Fabrik war als Serien-Produktionsstätte für die von Heber im „Werk I“ in Berlin-Britz entwickelten Abwurfwaffen und andere Rüstungsgüter eingeplant.

Die Bauarbeiten des Werkes in Neubrandenburg begannen im April 1934 und waren bereits im Winter 1934/35 abgeschlossen. Etwa 80 altgediente Mitarbeiter aus Berlin-Britz lernten die zumeist zuvor arbeitslosen Mitarbeiter, die vorwiegend aus Sachsen, Thüringen, Hamburg, dem Rheinland und Mecklenburg kamen, an. Ende 1934 lief in Teilbereichen des neuen Werkes die Produktion von Bombenabwurfgeräten, Lafetten für Flugzeugkanonen und Maschinengewehren mit bis zu 600 Mitarbeitern an; im Folgejahr beschäftigte die Curt Heber GmbH – Mechanische Werkstätten Neubrandenburg (MWN) bereits 1.000 Personen, davon 714 in Neubrandenburg, die übrigen in Berlin-Britz. Innerhalb weniger Jahre entwickelten sich die Mechanischen Werkstätten zum einflussreichsten Unternehmen der Region. Bis zum Jahr 1937 kam der Betrieb auf ca. 2.700 Beschäftigte in 36 Gebäuden.

Neben dem Brandenburger Werk fasste Heber eine weitere Niederlassung ins Auge. Anfang 1935 verhandelte er über den Ankauf der Göttinger Physikalischen Werkstätten (Phywe), um auch in der Universitätsstadt Rüstungsaufträge auszuführen. Allerdings zerschlugen sich diese Pläne. An den Vertragsverhandlungen waren die Göttinger Unternehmer Adolf Ruhstrat und Erich Sartorius, Mitgesellschafter der Phywe, beteiligt; später erhielten ihre Firmen Aufträge des RLM über Abwurfwaffen, die ursprünglich Heber für die MWN in Göttingen hatte abwickeln wollen.

Inhaftierung und Verlust der Mechanischen Werkstätten

Am 28. Mai 1937 wurde Curt Heber wegen angeblicher Devisenvergehen verhaftet und ins Untersuchungsgefängnis Moabit gebracht. Derartige Anschuldigungen waren Mitte bis Ende der 1930er Jahre gängige Praxis bei der Verfolgung von Kirchenvertretern und Regimekritikern. Es gibt jedoch keinen Hinweis auf ein oppositionelles Verhalten Hebers gegen das Dritte Reich, das Anlass für eine Enteignung des Werkes gegeben hätte. Struve vermutet, dass Schwierigkeiten mit Parteifunktionären in Neubrandenburg zu einer genaueren Prüfung seiner internationalen Geschäftsverbindungen geführt hatten. Im Juni 1937 kündigte das Reich die zum Aufbau des Neubrandenburger Werkes gewährten Darlehen in Höhe von etwa 2,5 Millionen RM und forderte Heber zur Rückzahlung binnen weniger Tage auf.

Am 7. Juli 1937 blieb Heber – noch immer in Haft – keine andere Wahl, als seine Firmenanteile an die staatseigene Luftfahrtkontor GmbH zu übertragen. Die Höhe des Kaufpreises blieb offen und sollte durch ein späteres Schiedsgericht ermittelt werden. Die Neubrandenburger Firma wurde in Mechanische Werkstätten GmbH umbenannt und in ein Konsortium unter staatlichem Einfluss überführt. Dank seiner Kontakte zum RLM gelang es Heber Ende Mai 1939, nach mehr als 20 Monaten mit nur geringen Unterbrechungen aus der Haft entlassen zu werden. Aber die gegen seine Person gerichteten Vorwürfe waren damit noch lange nicht ausgeräumt. Das gegen Heber geführte Strafverfahren wurde erst im Februar 1940 durch den Reichsjustizminister endgültig niedergeschlagen und die vom Sondergericht erkannte Gefängnisstrafe, soweit sie noch nicht verbüßt war, erlassen. In Anschluss an seine Haftentlassung erwarb Heber die Berliner Telefonbaufirma Wilhelm Dauernheim, die mit ca. hundert Personen für die Reichspost arbeitete.

Der Umzug nach Osterode: Die Heber Maschinen- und Apparatefabrik (HEMAF)

Nach seiner Rehabilitation erwartete Heber für den Verlust des Neubrandenburger Werkes eine Entschädigung in der Größenordnung von 2,5 Millionen Reichsmark. Zur Kompensation bot das Reich den Kauf eines anderen mit Staatsmitteln eingerichteten Rüstungsbetriebes an, wodurch sich weitere Schadensersatzansprüche Hebers erledigen sollten. Offenbar war Heber mit diesem Vorschlag einverstanden, denn am 11. April 1942 erhielt er vom Reichsminister der Luftfahrt die „Zustimmung das Werk Osterode der Optische und Mechanische Werke Osterode GmbH“ zu erwerben und die Produktion unter der neuen Firma Heber Maschinen- und Apparatefabrik (HEMAF) fortzuführen. Weiter wurde Heber in der Anweisung des RLM beauftragt, „das Werk, in welchem ausschließlich Geräte von kriegsentscheidender Bedeutung gefertigt werden, mit größter Beschleunigung auf den (…) angeordneten Fertigungsstand zu bringen“. Gleichzeitig wurde verlangt, den Werkzeugmaschinenpark zu ergänzen und Baracken für ausländische Arbeiter sowie Kriegsgefangene zu errichten.

Exkurs: Die Verlagerung der Firma OMW nach Osterode

Ende 1934 ordnete das Reichsluftfahrtministerium (RLM), dass die im Februar 1908 gegründete Berliner Firma Optische Anstalt Oigee „aus strategischen Gründen“ einen Teil ihres Betriebes aus der Hauptstadt zu verlagern habe. Das Unternehmen erhielt neben anderen Bestellungen von Rüstungsgütern den Auftrag, Fliegervisiere für den Jäger Arado 68536 in Serie zu produzieren. Die Räumlichkeiten in Berlin reichten dafür nicht mehr aus. In Osterode fand die Firma die dringend benötigten Erweiterungsflächen. Das von Oberingenieur Paul Werner geleitete Unternehmen bezog die Gebäude der Anfang der 1930er Jahre in Konkurs gegangenen Textilfabrik Allwörden & Badendieck.

Nach nur dreimonatiger Umbauzeit nahm Oigee im Juni 1935 dort die Fabrikation von Zielgeräten (Reflexvisiere) und Abwurfgeräten für die Luftwaffe auf. Ende 1935 zählte das „Ausstattungswerk“ der Luftwaffe 96 Mitarbeiter. Der Oigee-Verlagerungsbetrieb firmierte unter OMW, Optische und Mechanische Werke GmbH, Freiheit-Osterode. Nach Erhöhungen des Stammkapitals um 780.000 RM zum Ablauf des Jahres 1938 und um weitere 700.000 RM. Ende März 1940 hielt das das Reich 98,69 % der Gesellschaftsanteile, die restlichen 1,33 % entfielen auf Paul Werner. Die OMW stellte neben Ferngläsern auch Zielgeräte und Flugzeugvisiere für die Wehrmacht unter dem Kennzeichen „hdv“ her.

Heber übernimmt Teile der OMW-Fabrikation

Um den „Heber-Deal“ realisieren zu können,  nahm das RLM 1942 eine Aufteilung der OMW vor. Den „optischen Teil“ übernahm die die zu diesem Zweck errichtete Firma OWO, Optische Werke Osterode GmbH, ebenfalls mit Sitz in Orsterode, den anderen Teil Curt Heber. Die Firma Optische Werke Osterode GmbH wurde am 22.07.1942 ins Handelsregister eingetragen. Das Stammkapital betrug 20.000 RM. Geschäftsführer war wiederum Obering. Paul Werner. Auch in dieser Gesellschaft erhöhte das Reich das Stammkapital um 230.000 RM; so dass auch die Staatsbeteiligung 91,3 % betrug. Die Grundstücke und Gebäude und die damit verbundenen Betriebsanlagen der OMW wurden von der LAG (Luftfahrtanlagen GmbH, Berlin) erworben und von dieser an die beiden neu errichteten Firmen, nämlich OWO und Heber,  verpachtet. Die Aktiva und Passiva wurden entsprechend aufgeteilt und von den beiden Nachfolgefirmen übernommen. Die Kaufsummen waren an die LAG zu zahlen. Die OMW selbst wurde als Gesellschaft im März 1944 aufgelöst. Die Aufteilung der OMW erfolgte in Verhältnis 30 (für OWO) : 70 (für HEMAF), wobei das „optische Personal“ bei der OWO verblieb, die anderen zur HEMAF wechselten.

Ursprünglich war vorgesehen, Heber die gesamte Fabrikanlage in Osterode zu übertragen und den optischen Produktionsbereich nach Göttingen auf das Gelände der Firma Schneider & Co. in der Goethe-Allee 8a zu verlegen, das durch den Neubau in Weende (später ISCO) frei geworden war. Die Absichten zerschlugen sich. Denn OWO gelang es, unnötige Transporte vorschiebend, eine vollständige Verdrängung zu verhindern. Anfang Oktober 1942 musste die OMW rückwirkend für den Zeitraum seit Juli 1942 den auf die Herstellung von Abwurfgeräten entfallenden Geschäftsbetrieb an die Curt Heber Maschinen-Apparate-Fabrik HEMAF abtreten. Die restlichen 30 % des Firmengeländes und der Produktionsmittel verblieben bei der OMW bzw. der OWO. Gemäß Kaufvertrag vom 15. Juni 1942 hatte Heber knapp 475.000 RM für den von ihm erworbenen Werksanteil zu zahlen, musste aber zudem die halbfertigen Abwurfwaffen und vorhandenen Rohstoffe von der OMW zu einem Wert von knapp zwei Millionen RM käuflich erwerben.

Im Juli 1943 entschied die Schiedskommission, dass Heber für den Verlust seines Neubrandenburger Betriebes, seiner Berliner Einzelfirma und seiner Patente ein Entschädigungsbetrag von 1,873 Millionen RM zustehe. Zuzüglich aufgelaufener Zinsen ergab sich ein Gesamtbetrag von über zwei Millionen RM. Auf den zu erwartenden Kaufpreis erhielt Heber bereits im Jahr 1939 eine erste Rate von 450.000 RM, die er vermutlich zum Erwerb der Berliner Telefonbaufirma Wilhelm Dauernheim verwendete. 1941 und 1942 überwiesen die MWN jeweils weitere 100.000 RM. Den Restbetrag von 1,364 Millionen RM zahlten die MWN im April und Mai 1943 an Heber, bekamen ihn aber, genau wie die zuvor erbrachten Entschädigungsleistungen, vom RLM im Dezember 1943 vollständig erstattet. Heber setzte den erhaltenen Betrag zum größten Teil – zumindest 1,1 Millionen RM – für die Finanzierung der HEMAF ein. Den fehlenden Teil des Kaufpreises für das Osteroder Werk steuerte die Niedersächsische Landesbank bei; damit kreditierte sie einen Auftrag des RLM über die Lieferung von 20.000 Bombenabwurfgeräten, der später wieder annulliert wurde.

HEMAF-Zwangsarbeiter

Im Dezember 1942 standen 969 Personen an den Werkbänken der HEMAF, acht Monate später schon 1.155; mehr als die Hälfte (53 %) von ihnen waren Ausländer. Heber versuchte unentwegt, weitere ausländische Spezialisten und Facharbeiter zu bekommen. Die HEMAF gehörte zu jenen Osteroder Rüstungsunternehmen, die dringender als andere auf gelernte Arbeitskräfte angewiesen waren. In anderen Betrieben sorgte der hohe Automatisierungsgrad dafür, dass der Ausstoß an Kriegsmaterial konstant blieb oder gar ausgeweitet werden konnte, selbst als der Anteil deutscher Fachkräfte zurückging. Für die Unterbringung seiner Fremdarbeiter ließ Heber zwei Barackenlager bauen. Das aus sechs Mannschaftsbaracken bestehende „Russenlager II“, auch als Lager „Ost“ bezeichnet, entstand im Bereich der „Alten Harzstraße“. Es diente der Aufnahme polnischer und russischer Zwangsrekrutierter. Das Lager „West“ an der Baumhofstraße – zunächst ausschließlich westeuropäischen Fremdarbeitern vorbehalten – bestand aus sieben Wohnbaracken, die sich in vier Reihen hangaufwärts zogen, außerdem, einer Abort- und zwei Waschbaracken.

Im August 1943 war der Bau des Westarbeiterlagers noch in vollem Gange, obwohl schon 340 Personen dort hausten. „Aus Mangel an Hilfskräften und zur Schonung deutscher Arbeitskräfte“ setzte Heber Ende Juli 1943 polnische und russische Arbeitskräfte zum Aufbau des Lagers ein. Nach mehr als elfstündiger Arbeit an den Maschinen in Tag- oder Nachtschicht hatten diese „Ostarbeiter“ zusätzlich 2 1/2 Stunden beim weiteren Ausbau des Werkes und der Wohnunterkünfte zu helfen. Wer sich dem „Sondereinsatz“ verweigerte, wurde mit dem Entzug von warmen Essen bestraft. Heber persönlich hatte darüber hinaus den Einsatz von „Russenfrauen“ angeordnet, die sich seiner Ansicht nach „für Erdarbeiten besonders eignet[en]“. Weiter bestimmte er, dass die „anderen Frauen zum Fensterputzen, Barackeninstandhaltung und für alle sonst im Lager anfallenden Arbeiten einzusetzen“ seien. Heber bediente sich seines Lagers bald als ‚Umschlagplatz‘ für Fremdarbeiter. Einige vermittelte er in andere Städte weiter, andere lieh er, mal für kurze Zeit, mal langfristig, an andere Arbeitgeber im Raum Osterode aus.

Umstellung der Produktion und Einsatz von KZ-Häftlingen

Um mit der Herstellung von Abwurfgeräten nicht in einseitige wirtschaftliche Abhängigkeit von der Luftwaffe zu geraten, bemühte sich Heber frühzeitig um Rüstungsaufträge anderer Wehrmachtsteile, etwa um die Produktion von Waffen und Visieren, zunächst jedoch ohne größeren Erfolg. Anfang 1944 waren die Aufträge so stark zurückgegangen, dass die Gefahr bestand, nicht mehr benötigte Produktionsflächen an andere, in den Harz strebende Verlagerungsbetriebe abgeben zu müssen. Neben Blaupunkt bekundeten auch Siemens und Telefunken Interesse an Teilen der Werksanlage der HEMAF.

In letzter Minute gelang es Heber, bei der Luftwaffe einen Auftrag über die Entwicklung und Herstellung von Raketenabschussgeräten für das Jägerprogramm einzuwerben (Rakete „R4/M – Orkan“). Am 21. Februar 1945 setzte Heber den Sonderausschuss für Bodenfunk davon in Kenntnis, „dass die vor etwa 9 bis 10 Monaten mitgeteilten Kapazitäten längst durch den Hauptausschuss Waffen und die verschiedenen anderen Sonderausschüsse belegt worden sind“. Weiter heißt es: „Darüber hinaus sind durch die von mir entwickelten Raketenabschussgeräte, die unmittelbar an der Front eingesetzt werden, derart Kapazitäten benötigt worden, dass bereits seit 6 Monaten eine Unterbringung ausgeschlossen ist“.

Fehlende qualifizierte Arbeitskräfte drohten die Abwicklung des neuen Auftrages zu gefährden. Zur Abwendung dieses Personalengpasses soll sich Heber nach Angaben des damaligen Leiters der Personalabteilung der HEMAF schon Anfang 1944 um die Zuweisung von KZ-Häftlingen bemüht haben. Eine undatierte Anforderungsliste vermutlich aus dieser Zeit nennt einen Bedarf von 50 Männern für den Stahlbau, 25 Werkzeugschlossern und Lehrenbauern, 30 Männern für die Montage und 20 bis 25 Männern für die Versuchsabteilung, die für den „O-Serienbau geheimer Geräte“ geeignet sein sollten. Weiterhin bat Heber um die Zuweisung von drei Männern für die Konstruktionsabteilung und von hundert Maschinenarbeitern.

Das KZ-Außenkommando HEMAF

Im Frühjahr 1944 soll laut Aussage eines Zeitzeugen eine SS-Kommission das Westarbeiterlager hinter dem Fabrikgebäude besichtigt und konkrete Anweisungen zur Ausgestaltung zu einem werkseigenen Außenkommando gegeben haben. Nach dem Besuch begann Heber unverzüglich mit dem Bau der KZ-Unterkünfte. Fünf Baracken des Westlagers wurden geräumt und mit einem hohen Stacheldrahtzaun umgeben.

Zudem waren auf Weisung der SS ein Wachturm und eine besondere Beleuchtungsanlage aufzustellen. Um möglichst viele Häftlinge unterzubringen, ließ der Rüstungsfabrikant dreistöckige Bettgestelle aufstellen, so dass die einzelnen Stuben statt ursprünglich 12 nunmehr 20 bis 24 Personen aufnehmen konnten. Die ersten Häftlinge dürften das Lager Ende September 1944 bezogen haben, wie Forderungslisten der SS belegen, wonach für die bei der HEMAF beschäftigten Häftlinge 80 RM nach Buchenwald zu entrichten waren. Am 1. Oktober zählte das Außenkommando 66 Insassen, doch der Bedarf des Unternehmens an Arbeitskräften war damit bei weitem nicht gedeckt. Am 4. Oktober 1944 stellte Heber erneut einen „Antrag auf Gestellung von 260 Häftlingen“, über den die SS scheinbar kurzfristig entschied. Ende Oktober 1944 war die Zahl der Lagerinsassen durch weitere Buchenwald-Transporte, insbesondere den vom 12. Oktober mit 192 Häftlingen, auf 284 gestiegen. Im Berichtsmonat zahlte der Rüstungszulieferer 11.719,20 RM an die SS; im darauf folgenden Monat Dezember 1944 waren es 43.950,00 RM.

Die aus Buchenwald zugewiesenen KZ-Sklaven waren nur bedingt in der Lage, die geforderte schwere körperliche Arbeit zu verrichten. Der Krankenstand war im Vergleich zu dem, der ebenfalls bei Heber in großer Zahl tätigen Fremd- und Zwangsarbeiter, doppelt so hoch. Die Häftlinge arbeiteten in zwei Schichten zu je 12 Stunden. Die Fabrikräume waren durch besondere Vorkehrungen gegen Ausbrüche gesichert; an den Eingangstüren waren Wachen postiert. Das ursprünglich zu Buchenwald zählende Lager wurde Ende Oktober 1944, vermutlich wegen des durch die Entwicklung der Fliegerbordrakete gegebenen funktionalen Zusammenhanges, dem KZ Mittelbau unterstellt, baute jedoch weder zum Hauptlager Dora noch zu dem nur wenige Kilometer entfernten Außenlager „Dachs IV“ in Osterode-Petershütte engere Verbindungen auf. Bezugspunkt blieb nach wie vor das KZ Buchenwald, das zunächst weiterhin für die Zuführung neuer Zwangsarbeiter sorgte.

Dora verlegte erstmals Ende Februar 1945 Häftlinge nach Osterode. Im Dezember 1944 und Anfang Januar 1945 ließ der Rüstungsbauer weitere Facharbeiter in Buchenwald mustern, die wenige Tage später in Osterode eintrafen. Ende Februar 1945 kamen 101 Gefangene aus dem KZ Mittelbau-Dora hinzu. Damit dürfte HEMAF zeitweise mehr als 500 KZ-Sklaven in seinem Lager gehalten und im Betrieb ausgebeutet haben. Bis Ende 1944 hatte ein etwa 40 Jahre alter Wehrmachtsoffizier, der sich „ungewöhnlich korrekt“ gegenüber den Gefangenen verhalten haben soll, als Lageraufseher das Außenkommando geleitet. Offenbar war er in Ungnade gefallen, als er sich bei der Firmenleitung beschwerte, dass die KZ-Häftlinge die ihnen zustehenden Rationen nicht in vollem Umfang erhielten, und er damit die Forderung verbunden hatte, eine separate Küche für das Lager zu schaffen.

Anfang 1945 wurde das komplette Lagerpersonal durch SS-Leute aus Auschwitz ersetzt. Misshandlungen der Häftlinge waren von da an der Tagesordnung. Lagerinsassen, die im Winter beim Waschen wegen der Kälte ihre Hemden nicht ausziehen wollten, wurden von SS-Bewachern in einen mit eiskaltem Wasser gefüllten Bottich geworfen. Insbesondere der neue Lagerkommandant soll mit unnachgiebiger Härte gegen die Häftlinge vorgegangen sein und wahllos Prügelstrafen vollzogen haben. Trotz Frost und Kälte mussten die nur mit dünner KZ-Kluft bekleideten Häftlinge stundenlang auf dem Appellplatz antreten. Auch die Unterkünfte sollen nur unzureichend beheizt worden sein. All dies potenzierte die allgemeine Entkräftung und führte zu einem weiteren Anstieg der Todeszahlen.

Als alliierte Truppen herannahten, löste die SS das Außenkommando um den 6. April 1945 auf. Die SS teilte die Häftlinge in zwei Gruppen, die, so hieß es, nach Bergen-Belsen geführt werden sollten. Am 10. April 1945, nach viertägigem Fußmarsch, befreiten amerikanische Truppen einen Großteil von ihnen.

Sträflinge aus dem Osteroder Gerichtsgefängnis

Neben Zwangsarbeitern und KZ-Häftlingen beschäftigte die HEMAF Sträflinge des Osteroder Amtsgerichtsgefängnisses. Hatte die Firma Kellermann noch abgelehnt, ihre Produktion von Kriegsgerät in das Gefängnis zu verlagern, so hegte Heber solche Bedenken nicht. Vorbehaltlos war er bereit, „geeignete Arbeit ohne Anlernzeit an das Gefängnis zu vergeben“, und sagte im Juni 1944 zu, einen seiner Werkmeister dorthin abzustellen. Anfang Oktober 1944 nahmen 31 Personen des Gerichtsgefängnisses der Stadt Flugzeugabwurfschlösser und Zünder für Fliegerbomben für die HEMAF auseinander.

Die HEMAF nach Kriegsende

Am 12. April 1945 besetzten Amerikaner das Werk, ab Mitte Mai 1945 abgelöst durch englische Truppen. Während das Hauptgebäude und die Barackenlager bis zum 31.01.1950 besetzt blieben, erhielt Heber im Mai 1945 die Genehmigung, im unteren Werksbereich die Produktion einer „Friedensfertigung“ wieder aufzunehmen. Am 29.06.1945 erteilte die Wirtschaftskammer Hildesheim im Auftrage der Militärregierung die offizielle Genehmigung für maximal 250 Beschäftigte. Doch dies war zunächst nur von kurzer Dauer. Denn am 21.08.1945 ging der englische Befehl ein, die Firma zu schließen. Eine englische Militäreinheit besetzte das Werk und nahm dies in Beschlag. Erst Ende November 1945 erhielt das Unternehmen die Genehmigung zur Wiederaufnahme der Arbeit. Mit den übriggebliebenen Materialvorräten wurden elektrische Feueranzünder, Ölpressen (für Buchecker-Kerne), Rübenschnitzelmaschinen und Handwagenachsen hergestellt, aber auch Landmaschinen repariert.

Zugleich gelang es Heber, an die alten Verbindungen zur Reichspost anzuknüpfen. So erhielt die Firme bereits im Juli 1945 erste Aufträge von der Reichspostdirektion Braunschweig. So reparierte das Unternehmen zunächst Fernsprechapparate und Telefonwecker. Später kam die Produktion von Klinkensteckern, Ersatzteilen für Hebdrehwähler und des Gebührenzählers Z 27 her. Anfang 1946 kam die HEMAF erstmalig auf die Demontageliste, was zunächst abgewendet werden konnte. Da aber weiterhin die Gefahr einer Demontage bestand, gründete Heber im Juni 1946 eine neue Firma, die Mechanische Werkstätten in Hildesheim. Die Firma übernahm einige wertvolle Maschinen aus dem HEMAF-Bestand und konnten so der Demontage dauerhaft entzogen werden. Dies gerade noch rechtzeitig, denn ab Januar 1947 traten neue Kontrollrats-Gesetze in Kraft. In deren Umsetzung wurde das gesamte Firmenvermögen der HEMAF beschlagnahmt. Heber war es von nun an untersagt, das Werk zu betreten. Gleichzeitig wurde gegen seine Person ein Entnazifizierungsverfahren eingeleitet. Ein Treuhänder übernahm die Geschäftsführung. Dennoch hielt Heber weiterhin -wenn auch aus der Privatwohnung- die Fäden fest in der Hand. So blieben seine persönlichen Verbindungen zur Post blieben erhalten. Nach dem Erwerb einer kleinen Tischlerei ließ Heber u. a. auch große und kleine Prüfschränke für Post und Bahn fertigen.

Eine Alliierte-Militärkommission nahm Anfang 1947 eine Betriebsbesichtigung vor, anlässlich derer die unwiderrufliche Entscheidung fiel, dass die HEMAF als Rüstungsbetrieb der Kategorie I unter der Nr. 1.262 in die Reparationsliste aufgenommen wird. Eine Gruppe deutsch-englischer Fachleute zog ein, um das „amtliche Inventarverzeichnis“ zu erstellen, in das sämtliche technischen Anlagen, soweit demontierbar, aufgenommen wurden. Die endgültige Aufstellung vom Oktober 1947 führte allerdings nur 224 Positionen auf. Zahlreiche Maschinen fanden keine Berücksichtigung, weil diese offenbar geschickt versteckt wurden. Heber gelang es, mit der beauftragen Demontagefirma, der Deutsche Bergwerks- und Hüttenbau GmbH, Bad Lauterberg, zu vereinbaren, dass er den Abbau seiner Maschinen mit eigenem Fachpersonal durchführen durfte. So war es möglich, die Anlagen noch zur Abwicklung wichtiger Postaufträge zu nutzen. Nach Einbruch der Dunkelheit wurden die Fenster verhängt, und die auf Holzbalken stehenden Maschinen provisorisch wieder an die Energieleitungen angeschlossen. Dann wurde mit diesen Maschinen gearbeitet, als ob nichts geschehen wäre. Eine Stunde vor Morgengrauen wurden die Arbeiten wieder eingestellt. Ende Juni 1948 standen die Maschinen dann endgültig zur Abholung bereit. Auf Anweisung des Treuhänders war es Heber nicht gestattet, die Firma unter ihrem alten Namen fortzuführen. Die HEMAF wurde im Handelsregister gelöscht.

Neugründung der ELMEG

Um den Betrieb fortführen zu können, rief Heber am 15.05.1948 die Firma „ELMEG Elektro-Mechanik GmbH, Osterode“ mit einem Stammkapital von 50.000 RM ins Leben. Da Heber wegen eines Berufsverbots selbst nicht in Erscheinung treten durfte, übernahm Ingenieur Rudolf Pilz nach außen die Funktion des Geschäftsführers. Die Gesellschafter waren Strohmänner, die sich Curt Heber gegenüber verpflichteten, nach Beruhigung der Verhältnisse ihre Anteile an ihn zurück zu übertragen. Die Währungsreform, infolge derer das Stammkapital auf 5.000 DM schmolz, verschärfte die finanzielle Situation. Dank eines Kredites der Deutschen Bundespost über 150.000 DM ließ sich der Geschäftsbetrieb aufrecht erhalten. Im zweiten Halbjahr 1948 verließen die ersten Flachrelais das Werk. Ebenso entwickelte die ELMEG für die Post Relais-Nebenstellen-Anlagen. Bereits 1950 lief die 1.000ste Anlage vom Band. Die Produktion erfolgte zunächst in Baracken, der sogenannten „Wald-ELMEG“, und in Räumen der alten HEMAF.

Aus Luftschutzgründen richtete die HEMAF bereits 1943 in einiger Entfernung vom Werk entfernt, mitten im Wald gelegen, eine kleine separate Werksanlage auf. Die Baracken waren mit allen notwendigen elektrischen Anschlüssen und Zentralheizung ausgestattet. Diese dienten der ELMEG als provisorische Betriebsstätte. Da die Gebäude der alten HEMAF nicht angepachtet werden konnten, musste ein anderer Standort außerhalb von Osterode gefunden werden. In Deutschland standen u. a. Projekte in Sankt Andreasberg; Bad Lauterberg (ehemalige Schickert-Werke), Bensheim, Braunschweig, Celle; Clausthal (ehemalige Munitionsfabrik Werk Tanne), Dransfeld, Düsseldorf und Duisburg zur Diskussion. Ein neuer Standort fand sich letztlich in Peine auf dem Gelände der ehemaligen „Mitteldeutschen Spinnhütte“. Der Umzug begann im November 1953. Damit endete die Werksgeschichte im Harz.

Tod Hebers

Anfang 1950 war Heber gesundheitlich stark gezeichnet. Mitte November 1953 erlitt Heber einen ersten Schlaganfall mir verbliebenen Lähmung seines rechten Arms. Am 03.12.1953 verstarb Heber in Peine an den Folgen eines erneuten Schlaganfalls. Am 07.12.1953 wurde er auf dem Friedhof von Peine begraben.

Quelle und Bildquelle: Frank Baranowski

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